Am 15. August schloss erstmals die 10-jährige Bundesanleihe bei minus 1 Prozentpunkt. SKALPELL wollte von einem Finanzspezialisten mit langjähriger Erfahrung in Finanzfragen wissen, was das konkret für jeden Einzelnen von uns bedeutet.
Herr Roth, was ging Ihnen durch den Kopf als dieser Referenzzinssatz die Schwelle von -1 % unterschritt?
Die Unterschreitung dieser Marke ist natürlich eine rein emotionale Sache. Gegenüber dem Vortag ist der Zins nur um 0.05 % gefallen. Viel gravierender ist der Zinsverlauf der 10-jährigen Bundesanleihe in den letzten 10 Monaten. Im Oktober 2018 lag die 10-jährige Bundesanleihe noch bei plus 0.17 %. Somit liegt zwischen dem Höchst- und Tiefststand innerhalb von 10 Monaten eine Zinsdifferenz von 1.25 %. Das ist eine enorme Veränderung der Zinslandschaft.
Weshalb ist der Zinssatz für 10-jährige Bundesanleihen so wichtig?
Die Bundesanleihe der Schweizerischen Eidgenossenschaft symbolisiert für uns Schweizer eine risikolose Geldanlage. Wenn nun einem Land, einer Unternehmung oder auch einer Privatperson Geld ausgeliehen wird, dann muss der Zins höher sein als eine gleichlang laufende Bundesanleihe. Wie viel höher hängt von der Bonität des Kreditnehmers ab. In der Praxis wird die Laufzeit von 10 Jahren herangezogen, weil Privatanleger oftmals mit einer solchen Frist ihr Geld anlegen möchten.
Also hat diese Entwicklung einen direkten Einfluss auf unsere Geldanlagen?
Unbedingt! Die Kunden suchen bei der Geldanlage nach Garantien. Wie aber soll ein Finanzinstitut heute noch eine sichere Geldanlage auf den Markt bringen? Dazu muss man verstehen, wie Finanzprodukte oft konzipiert sind. Eine Obligation bildet den Garantieteil eines Produktes, der dafür nicht verwendete Teil der Investition muss die Rendite bringen. Ein Beispiel: wirft eine Obligation 1 % Zins ab, dann müssen für eine 100%ige Garantie nach 10 Jahren rund 90 % in diese Obligation investiert werden. Mit dem restlichen Geld können die Kosten bezahlt und eine renditeversprechende Anlage getätigt werden. Wie soll das nun gehen, wenn bei vollständiger Investition in die Obligation nach 10 Jahren nur noch 90 % zurückkommen?
Ihr Beispiel basiert aber auf einer absolut sicheren Anlage. Nicht jede Obligation verzinst im negativen Bereich.
Das ist natürlich absolut richtig. Daher gibt es im Moment auch noch Produkte, welche auf dieser Basis aufgelegt sind. Wenn man aber bedenkt, dass sich der Italienische Staat im Juli diesen Jahres auf 10 Jahre zu 1.65 % Zins finanzieren konnte, dann sieht man deutlich, wie eng der Spielraum geworden ist. Zudem muss man sich ja auch die Frage stellen, wie viel eine Garantie eines solchen Schuldners überhaupt wert ist.
Welche Alternativen hat somit ein Privatanleger auf der Suche nach Sicherheit?
Die Frage ist wie man Sicherheit definiert. Eine gewisse Sicherheit bieten Investments in Aktien, Immobilien oder Rohstoffe, insbesondere Gold. Natürlich unterliegen diese Anlagen den Wertschwankungen des Marktes. Die Tatsache, dass es sich hierbei um Sachwerte handelt, bietet aber eine gewisse Sicherheit. Sucht der Investor Produkte, welche mit einer Garantie ausgestattet sind, muss eine sorgfältige Chancen-Risiko-Bewertung gemacht werden. Als Alternative bieten sich nach wie vor Anlagen in Versicherungen mit Garantien oder das BVG an.
Das BVG ist klar, aber sind Anlagen in Versicherungen wirklich noch attraktiv?
Gleich wie beim BVG kann der Kunde auch bei Anlagen in Versicherungen von einer langfristig ausgelegten Anlagestrategie profitieren. Da Pensionskassen und Lebensversicherungen zu den grössten Immobilienbesitzern in der Schweiz gehören, beteiligen sich Investoren indirekt daran. Da diese Immobilienportfolios zu einem grossen Teil vor Jahren, wenn nicht vor Jahrzenten erworben wurden, weisen diese durchaus attraktive Renditen aus. Investiert eine Versicherung 25 % der Anlagen in Immobilien mit 4 % Rendite, dann ergibt nur schon dieser Teil eine Verzinsung von 1 % über die gesamte Anlage.
Trotzdem, ist es nicht viel spannender das Geld auf dem Bankkonto zu parkieren und auf bessere Zeiten zu warten?
Das ist natürlich auch eine Variante. Hierbei darf man aber nicht vergessen, dass seit spätestens Mitte der 90iger Jahre die Zinsen permanent fallen (siehe Grafik). Zudem lese ich heute kaum noch Berichte von Ökonomen, welche kurz- oder mittelfristig von steigenden Zinsen ausgehen. Japan hat 1999 Nullzinsen eingeführt und konnte bis heute nicht mehr aussteigen.
Dazu kommt, dass gerade bei grösseren Vermögen auf dem Bankkonto damit gerechnet werden muss, dass die Bank die Gebühren weiter erhöht oder sogar die Minuszinsen weitergibt. Mindestens 13 Banken, darunter mehrere Kantonalbanken, haben schon Minuszinsen eingeführt.
Aber das gilt nur für wenige Kunden mit Kontovermögen von mehreren hunderttausend Franken.
Das ist richtig. Wir machen viele Pensionsplanungen und die meisten Ärzte beziehen einen bedeutenden Teil der BVG-Gelder und schon ist ein 7-stelliger Betrag auf dem Konto. Wenn ich nur schon CHF 1 Mio. auf Banken verteilen will und dabei noch die Einlagensicherung von CHF 100‘000 im Hinterkopf habe, dann benötige ich 10 Konti bei 10 Banken.
Das klingt nach Papierkrieg. Was raten Sie den Kunden?
Es kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt dazu. Bisher hatten wir extrem tiefe Zinsen aber auch keine Teuerung. Somit haben sich diese beiden Faktoren neutralisiert, sprich der Sparer hat nichts gewonnen aber auch nichts verloren. Im 2018 ist die Teuerung in Form des Landesindex für Konsumentenpreise erstmals wieder deutlich gestiegen und zwar um 0.9 %. Somit wurden die Sparer faktisch um 0.9 % ärmer. Nun klingt dies nicht nach viel, in 10 Jahren wären es aber bereits 9 % bzw. auf die obige CHF 1 Mio. CHF 90‘000 Verlust. Sollte die Teuerung noch zunehmen und allenfalls gleichzeitig immer mehr Kunden mit Negativzinsen belastet werden, dann verstärkt sich dieser Effekt zusätzlich.
Es ist ganz schwierig sich dieser Problematik zu entziehen. Eine gute Diversifikation der Anlagen ist sicherlich ein Ansatz, überschüssige Liquidität besser anzulegen ist ebenfalls zu empfehlen und da nur noch das Eingehen von Risiken entschädigt wird, muss auch eine sorgfältige Risikoanalyse vorgenommen werden. Sie sehen, da kommt eine sehr anspruchsvolle Zeit auf uns zu und genau dabei stehen wir Ihnen zur Seite.
Zinsen 10-jährige Bundesanleihe
Quelle: SNB
Zur Person
Thomas Roth, 55, leitet seit 16 Jahren die Roth Gygax & Partner AG. Mit über 30 Jahren Berufserfahrung bewahrt er auch in turbulenten Zeiten einen kühlen Kopf. Daher ist er der ideale Gesprächspartner für eine sachliche Analyse der aktuellen Zinssituation.